Im 19. Jahrhundert gab es für die Menschen in Bergen 2 (Eversen, Sülze, Diesten, Huxahl und Hassel) wohl nur unregelmäßige Versorgung von überwiegend Berger Ärzten. Spätestens ab 1900 wurde dann eine Art sichere Sprechstunde eingerichtet. Der alte Sanitätsrat Meyer („de ole Sanitätsrot Meyer“) kam regelmäßig zu festgelegten Zeiten mit seinem Einspänner aus Bergen nach Sülze. Auch von einem Dr. Quirl aus Bergen und Dr. Schwarting aus Hermannsburg wussten die Alten zu berichten.
Nach dem Ende des 2. Weltkriegs gab es 1949 für kurze Zeit eine Praxis des Dr. Hermann Brammer in Sülze, der aber im gleichen Jahr nach Hermannsburg umzog und dort über Jahrzehnte erfolgreich praktizierte.
Die Sülzer Praxis
Der Kassenarztsitz in Sülze wurde nach einem strengen Auswahlverfahren in Hannover dann zum September 1949 an die damals 37-jährige Ärztin Dr. Herta von Borcke, Mutter von fünf Kindern, aus Halle vergeben. Damit begann eine über 50 Jahre andauernde Periode der von Borckes als Ärzte in Sülze, die bis zum 31. März 2000 angehalten hat.
Die erste Praxis wurde zum 1.10.1949 in Sülze im Hause von Engel-Marie Buhr – heute Kfz-Werkstatt und Tankstelle Krause – eröffnet. Zur Ausrüstung der Praxis gehörten ein kleiner DKW-Arztwagen und auch ein handgeschmiedeter (aus einer Schmiede in Bennigsen am Deister) gynäkologischer Untersuchungsstuhl, der bis zum Jahr 2000 in der Praxis überlebte und genutzt wurde.
In den Jahren von 1950 bis 1965 wuchs die Praxis von „Doktors Mutter“ von kleinen Anfängen langsam heran. Natürlich musste in vielen Bereichen improvisiert werden. Ärztliche Rezepte wurden mittags in einem Briefkasten (Rezeptsammelstelle) gesammelt, später von einem älteren Rentner – Herrn Pobloth – mit einem Moped meist aus der Hermannsburger Apotheke herangeschafft und abends dann von den Patienten abgeholt – lange Zeit bei der „Pension Palm“. Dabei gab es durchaus Unstimmigkeiten welche Apotheke die Sülzer Patienten beliefern durfte.
Die Versorgung durch Fachärzte wurde wie heute überwiegend in Celle, aber auch aus Bergen und Hermannsburg geleistet, dort gab es u.a. Augenärzte und einen HNO-Arzt sowie einen Gynäkologen. Über 90% der stationären Patienten wurden durch das Allgemeine Krankenhaus Celle, die Landesfrauenklinik in der Mühlenstraße, das St. Josefstift und das Celler Kinderhospital versorgt. Dazu kam über viele Jahre die Privatklinik Dr. Wilke in Bergen, in der zeitweilig ein Prof. Hummel – gewesener Mitarbeiter des berühmten Prof. Sauerbruch –operierte.
Eine erheblich größere Rolle als heute spielte in den fünfziger und sechziger Jahren noch Hausgeburtshilfe. Die Hebammen Frau Benecke und später Frau Spitzer sowie die Ärztin Dr. von Borcke haben zahllose Nächte damit zugebracht, möglichst vielen gesunden Kindern zur Welt zu helfen.
Auch im Rettungswesen fing es klein an: mit einfachen Krankentransportwagen (VW-Bus und Mercedes) mit denen Herr Strate und später Hans-Werner Imm aus Bergen und Herr Wollny aus Müden versuchten, die Versorgung rund um die Uhr zu sichern.
Sozialstationen waren noch nicht eingerichtet und so mussten häusliche Pflegefälle durch die Gemeindeschwestern Schwester Frieda und später Schwester Freya nach besten Kräften betreut werden. Angestellt bei der Kirche fuhren sie bei Kälte und Regen im Kleppermantel mit Fahrrad und Moped zu den Kranken; ihre Möglichkeiten zur Hilfe waren begrenzt.
Neuanfang am Butterberg
Die Arztpraxis Dr. Herta von Borcke hatte sich inzwischen verlagert. 1951 wurde am Butterberg 15 das neue Wohnhaus mit Wartezimmer, Sprechzimmer und kleinem Labor gebaut. Die Patienten kamen von 6.00 Uhr früh bis nach Dunkelheit, sonntags wie alltags. Als wichtigste Stütze der Ärztin war dann 1952 Adele Hasenclever als Arzthelferin in die Praxis gekommen. Sie machte schon morgens früh Blutzuckerbestimmungen, Blutentnahmen, Verbände und fast die gesamte Kassenabrechnung. Über mehr als 35 Jahre blieb sie in der Praxis, geachtet und ein ruhiger Pol im hektischen Betrieb. Durch jahrzehntelange Kenntnis und Erfahrung genoss „Adele“ das Vertrauen der Bevölkerung. „Fräulein Hasenclever, Sei sünd ja ouk ein halber Doktor“ wurde oft gesagt.
Die extrem schwere Belastung mit Praxis und großer Familie führte in den 60er Jahren zu erheblichen Erkrankungen von Herta von Borcke. Es wurde daher eine rasche Praxisübernahme durch die Medizinstudierenden Editha und Rüdiger angestrebt, die nach dem Staatsexamen 1963 bzw. 1965 in der Praxis aushalfen.
Schon in den 50er Jahren als Schüler hatten sie z.B. nachts bei schweren Verkehrsunfällen der Mutter Unterstützung geleistet.
Ein erheblicher Teil, besonders die bäuerliche Bevölkerung der Bauernhöfe, war damals nur sehr mäßig krankenversichert. Die spätere Landkrankenkasse (HLK) gab es noch nicht. Viele Patienten waren schlecht privatversichert, die Quartalsrechnung tippte Adele Hasenclever im Zwei-Finger-Such-System und die Rechnungen wurden dann über die Dörfer mit dem Fahrrad verteilt. Stolz und glücklich war man, wenn etwa 9,10 DM oder 62,50 DM sofort bezahlt wurden und dann zu Hause abgeliefert werden konnten.
Schon ab 1963 – als Famulus nach dem Physikum – begann der spätere Dr. Rüdiger von Borcke erste halbärztliche Mitarbeit in der Praxis, beispielsweise Hausbesuche bei Kranken, Blutdruckmessen und Injektionen. 1965 begann dann die echte ärztliche Vertretungstätigkeit als 24-jähriger junger Mann und 1969 wurde die Praxis Dr. Rüdiger von Borcke dann formal zugelassen.
Zu Tun gab es auch damals im Übermaß. Einzelarztsitz, kaum Vertretungsmöglichkeit, Dienst rund um die Uhr mit regelmäßigen schweren nächtlichen Einsätzen, das alles war normal. Viele schwere Verkehrsunfälle, z.T. PKW-Kollisionen mit der OHE mit vielen Sterbenden, Herzinfarkte, Koliken und tagsüber dann in Grippezeiten bis 150 Patienten zu versorgen. Aber auch das Versorgungsprogramm mit Krebsvorsorge für Frauen und Männer, die Kindervorsorgen und anfangs auch noch die Schwangerenvorsorgeuntersuchungen und nächtliche Geburtshilfe mussten geleistet werden und fast 90% der örtlichen Bevölkerung waren in der Sülzer Arztpraxis als Patienten, zumindest teilweise.
1972 kam eine Zäsur. Dr. von Borcke wurde aus der Praxis zur Bundeswehr zum Wehrdienst eingezogen. Es ergab sich eine monatelange Diskussion z.T. mit Presse und Bundespräsidialamt. Das Ergebnis blieb: Die Praxis musste mit Vertretungsärzten weitergeführt werden; eine schwere Belastung besonders für die Patienten, da oft nur tageweise Ärzte gewonnen konnten und daher insgesamt in diesem Jahr über 50 verschiedenen Ärzte einsprangen.
Praxisneubau in der Salzstraße
Nach dem Ende der Bundeswehrzeit Dr. von Borckes gab es eine neue Veränderung. Mit Dr. Bernd Tripcke kam 1975 aus Hamburg ein jüngerer Kollege in die Praxis und nach einem halben Jahr der Vorbereitung wurde 1976 die Praxis Dr. Rüdiger von Borcke umgewandelt und hieß nun Gemeinschaftspraxis Dr. von Borcke und Dr. Tripcke.
Die Praxis zog – gefördert durch ein Darlehen der Stadt Bergen – nun um in das neugebautes Praxisgebäude in der Salzstraße. Dort steht sie heute noch, jetzt wieder gegenüber ihrem Ursprungsort 1949. Das Serviceangebot der neuen Praxis wurde natürlich verbreitert, die Infrastruktur des Gesundheitswesens verbesserte sich und das Arbeiten wurde langsam leichter.
Viele Arzthelferinnen wurden in der Praxis ausgebildet – allein über ein Duzend von Dr. von Borcke – die auch z.T. über Jahre in der Praxis engagiert gearbeitet haben.
1980 wurde ein schlimmes Jahr. Im Januar bei fast -20° Kälte stürzte die Praxisgründerin im Dunkeln auf einer vereisten Treppe, erlitt ein Schädeltrauma und erfror bewusstlos. Ein Nachruf in der Celleschen Zeitung von August Theis aus Sülze gibt die Stimmung wieder.
Jahre gingen ins Land. Mitte der achtziger Jahre kam als neuer Partner Dr. P. Schachinger dazu, jetzt wurde die Praxis zur Gemeinschaftspraxis Sülze.
Das Einzugsgebiet wurde größer, kindliche Patienten aus Nachbargemeinden wurden zusätzlich versorgt. Als ab 1989 Dr. Tripcke wegen einer sehr ernsten Krankheit wiederholt für Monate und z.T. Jahre in der Arbeit ausfiel, gab es erneut eine Fülle von Assistenzärzten und Praxisvertretungen, die die Lücke auszufüllen versuchten.
Über 10 Jahre später, am 31. März 2000 schied schließlich Dr. Rüdiger von Borcke nach über 35 Jahren ärztlicher Tätigkeit aus der Gemeinschaftspraxis Sülze aus. Sein Nachfolger wurde Wolfgang Schulz.
© Text und Bilder bis hier Dr. Rüdiger von Borcke
Umbau der Praxis Sülze
2006 schieden zunächst Dr. Tripcke und 2009 dann Dr. Schachinger in den Ruhestand aus. Damit reduzierte sich die Zahl der Ärzte in Sülze auf Herrn Schulz. Da es nun keine Gemeinschaftspraxis mehr sein konnte, musste aus rechtlichen Gründen die Praxis in „Gesundheitspraxis“ umbenannt werden.
Zeitgleich begann der Umbau des Praxisgebäudes. Der Eingang wurde verlegt, die alten Fliesen und Ausstattung ersetzt. Dass dies nötig war, zeigen die historischen Bilder aus den Jahren vor 2000.
Umwandlung in eine moderne Dienstleistungs-Praxis
Auch die Praxisstruktur wurde umgebaut. Nach Reduktion von 3 auf 1 Arzt mit gleichzeitiger Zunahme der Patientenzahlen, musste die Praxis in eine moderne Dienstleistungs-Praxis umgewandelt werden.
In diesem Rahmen gehörte die Gemeinschaftspraxis Sülze-Bergen bereits 2009 zu den bundesweit ersten Praxen, die mehrere „VERAH“ ausgebildet haben, um die Versorgung der älter werdenden Bevölkerung auf dem Land auch weiterhin sicherzustellen.
Ende 2010 konnte dann mit Frau Dr. Zöllich erstmals eine Internistin für die Arbeit in Sülze gewonnen werden.
Gleichzeitig breitete sich die Praxis aus Sülze aus: Mit der Übernahme der ehemaligen Praxis Dr. Höhne haben wir unsere erste Filialpraxis gegründet, deren Größe aber bald schon nicht mehr ausreichte.
Aus diesem Grund verstärkt seit 2016 auch Frau Dr. Saager das Ärzte-Team.
Neubau der Praxis Bergen
Durch die ständig steigenden Patientenzahlen in unserer neuen Praxis in Bergen mussten wir uns nach neuen Räumen umsehen. Fündig wurden wir in den Räumen des ehemaligen Geschäfts „Waffen-Alms“, das 2016 komplett nach unseren Bedürfnissen umgebaut wurde.
Diese ist dann 2016 in die jetzigen Räume in der Bahnhofstraße 10a umgezogen, weil die Praxisgröße für die steigende Patientenzahl zu klein wurden. Hier Eindrücke vom Umbau.
Unsere Praxis in Wietzendorf
Am 01.08.17 haben wir dann unsere 3. Praxis in Wietzendorf eröffnet.
Hintergrund ist, dass sich immer mehr Patienten aus Wietzendorf in unseren Praxen vorstellten. Dadurch wurde deutlich, dass Wietzendorf auf eine problematische medizinische Versorgungssituation zusteuert. Von ursprünglich drei Ärztinnen dort sollte nur noch eine in Wietzendorf bleiben. Bei über 4000 Einwohnern, einem Heim mit 92 Pflegeplätzen und im Sommer bis zu 4000 Urlaubern eine kritische Situation.
Hier haben wir uns eingeschaltet. Nach den guten Erfahrungen mit der Praxisübernahme in Bergen haben wir beschlossen, unser Konzept auch in Wietzendorf umzusetzen. Freundlicher Weise konnte das Heim Haus Bethesda so kurzfristig Räumlichkeiten zur Verfügung stellen.
Fast 5 Jahre lang haben wir so die medizinische Versorgung der Bevölkerung in Wietzendorf verbessert. Leider konnten wir 2022 keinen Arzt mehr für das Landleben finden und mussten deshalb die Praxis in Wietzendorf schließen.